Mittwoch, 4. März 2009

unsere schlimmste Nacht...

Vorab sei gesagt: dieser Post betrifft eigentlich nicht direkt das Down-Syndrom, sondern vielmehr persönlich uns als Familie - mit "meinem März" möchte ich ja eigentlich zeigen, wie normal und schön das Leben mit Extrabonus sein kann, und niemanden abschrecken. Da ich unser Leben mit dem Schlumpf aber von Anfang an in groben Zügen erzähle, gehört diese Nacht einfach mit dazu - nicht wegen dem DS, sondern weil´s zu unserer Geschichte gehört:-)
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Im Sommer 2003 fing Gabriel wieder einmal zu husten an – wie ließen ihn also im KH (unsere Kinder werden nämlich nur am WE krank) abhorchen – ich wollte eigentlich noch, dass er ins AKH dafür fährt, aber er war dann ins nähere Spital gefahren.
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Gabriel wurde mit einer Lungenentzündung stationär aufgenommen. Ich hatte noch mit dem Arzt der Kinderkardio im AKH telefoniert, um Gabriel dorthin verlegen zu lassen, doch die Station war so überfüllt, dass er nur noch ein Bett am Gang für Gabriel frei gehabt hätte – mit einem mulmigen Bauchgefühl und den tröstlichen Worten des AKH-Arztes: Antibiotika IV verabreichen können die dort auch“ blieben wir mit unserem Schlumpf also auf der Station – ich in der „Tagschicht“ und Alex nachts.
smzost2003
Gabriel im KH, hier mit Tante Berni
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Nach einigen Tagen ging es Gabriel besser, die Monitorüberwachung war nicht mehr nötig und es war die Rede von der Entlassung am nächsten Tag.
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Ich weiß es noch – es regnete und ich war im Wohnzimmer als das Telefon läutete und mein Schatz mit den Worten begann: „Mausi, reg Dich jetzt nicht auf, bleib ganz ruhig...“
Alex hatte sich eingebildet, Gabriels Sultanol zum Inhalieren würde anders riechen und war deswegen nachfragen gegangen – dem Himmel sei Dank, denn die Antwort der Schwester war „Jaja, das passt – Sultanol zum Inhalieren und 20 Tropfen Lanitop!“ (das war das 10fache von Gabriels Dosis!)
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Panisch machte ich mich auf den Weg ins KH, dort musste ich Gabriel halten, während ihm Aktivkohle eingeflößt wurde bis das angeforderte Gegenmittel aus einem anderen KH ankam. Es war fürchterlich für mich, seine Augen fragten „Warum?“ und ich musste „mithelfen“. Auf meine Frage nach Nebenwirkungen des Gegenmittels wurde mir gesagt, es gäbe eigentlich keine, da das Mittel aber aus Schafglobulin gewonnen wird, könne es zu einem allergischen Schock kommen – sehr beruhigend. Diverse Tests wurden gemacht, ob sich eine allergische Reaktion abzeichnen würde – mehrere Ärzte versuchten, einen neuen Zugang zu legen, da regelmäßig der Spiegel im Blut untersucht werden musste. Mittlerweile war es schon ziemlich spät, Gabriel müde und erschöpft, zerstochen, mit Aktivkohle vollgeschüttet und wir nervlich am Ende und bemüht, ruhig zu bleiben.
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Der kritische Zeitpunkt der höchsten Sättigung im Blut wurde errechnet, und schließlich das Gegenmittel verabreicht – mit einer Intensivmedizinerin an unserem Bett, dem Reanimationswagen im Zimmer und drei weiteren Ärzten vor der Tür. Gabriel überstand die Nacht schadfrei – weitere Untersuchungen am folgenden Tag beruhigten wieder etwas – doch wenn ich in einer regnerischen Nacht dieselbe Strecke wie damals abfahre, wird mir eng ums Herz und ich habe Probleme beim Atmen – ein „Knacks“ scheint mir also geblieben zu sein.
IM003578
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Wie es passieren konnte, dass eine 10fache Dosis einem so kleine Kind verabreicht wurde bleibt ein Rätsel – ich persönlich hatte keine Kraft, irgendwelche rechtlichen Schritte zu unternehmen, mein Mann hat allerdings Rat bei der Patientenanwaltschaft gesucht und von denen bedauernd mitgeteilt bekommen, dass wohl nichts zu machen wäre, wenn der Patient die Angelegenheit schadlos überstanden hat.
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Dass es nur ein "Zufall" war, dass alles ans Licht kam, dass Alex sich nur eingebildet hatte, es stimmt etwas nicht und deswegen fragen ging, ist für mich ein Zeichen, dass irgendjemand sehr gut auf Gabriel aufpasst und meinem Mann ganz kräftig auf die Schulter getippt hat. Wäre er nicht fragen gegangen, ich weiß nicht was passiert wäre. Es war spät, Gabriel müde, und kein Monitor war mehr da, um auf evtl. Herzrythmusstörungen oder noch schlimmeres hinzuweisen. Vielleicht war mein erstes Bauchgefühl , Gabriel verlegen lassen zu wollen schon ein erstes „Schultertippen“... vielleicht war das auch "das Gute" das aus dieser Nacht entstand (denn ich glaube fest daran, dass alles irgendeinen Sinn hat) - dass ich daran glauben kann, jemand passt auf uns auf:-)
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Morgen gehts dann deutlich positiver weiter, denn nach dieser Nacht ging es nur noch steil bergauf:-))

9 Kommentare:

Melanie hat gesagt…

Ach Nora, beim Lesen wurde mir auch ganz eng in der Brust und das Wasser stieg mir in die Augen - ich weiß genau, wie es Euch in dieser Nacht ging - wir hatten auch so eine mit Jacob ... Und mir geht es auch wie Dir: ich weiß noch, wie das Wetter war, die Strecke bereitet mir heute noch Herzrasen ...

Wie hilflos man sich fühlt, wenn die Kleinen einen mit diesem "Warum"-Blick ansehen! Gabriel hat das sehr tapfer durchgestanden und - was das allerwichtigste ist: er ist nicht "nachtragend", sprich, er hat sich sein unwiderstehliches Lachen bewahrt! :o)

*umärmel*
Melanie

Eliane Zimmermann hat gesagt…

ist es jedoch nicht ungeheuerlich, dass man juristisch hilflos, wenn so eine schlamperei ohne spätfolgen bleibt. müsste man nicht klagen dürfen, damit nicht andere kinder später durch eben solche schlampereien zu schaden kommen. unser kind mit fehlbildung "durfte" fast acht stunden ohne spezielle medizinische versorgung "bei mir liegen", weil der anästhesiearzt, der diese fehlbildung vermutet hatte, nicht dazu befugt war, diese offiziell festzustellen, die kinderärztin, die befugt gewesen wäre, kam eben erst 8 stunden später. dass er "nur" mit lungenentzündung überlebt hat, erscheint mir ein wunder oder auch eine schicksalsgewollte fügung, er hätte genau so hopps gehen können. darum macht mir diese willkür unglaublich wütend. aber auch euer spatz ist ein kämpfer, gut so!

Nora hat gesagt…

Seid umarmt Ihr 2 Lieben! @Melanie: tröstlich dass es Dir auch ähnlich geht - auch wenn man natürlich wünschen würde, soe ine Erfahrung nie hätte machen zu müssen - was war es denn bei Euch?
@Eliane: ja rückblickend macht es mich auch wütend - es scheint nämlich der Grund gewesen zu sein, dass die Medikamente nicht "aus dem Akt" verabreicht worden waren, sondern die Schwestern die medis auf Notitzzetteln aufschrieben - bei 20 Uhr 2 Tropfen kam es offenbar zu einem Schreibfehler - ist ja wohl auch der Grund, dass normalerweise mit dem Akt gearbeitet wird. Zum damaligen Zeitpunkt hätte ich einen "Kampf" nicht durchgestanden - hart war es besonders, dass die "schuldige" Schwester an den Gegenmaßnahmen mitarbeitete - einerseits gut dass sie sah, was sie angerichtet hatte und sie hat sicher auch gelitten, andererseits hart für die Eltern, ihr weiter ins Gesicht sehen zu müssen.
Gott sei Dank hat Euer Kämpfer es geschafft! Lass mich mal ganz blöd fragen: was tut man wenn ein Kind ohne Speiseröhre zur Welt kommt?
Liebe Grüße
Nora - auf dem Weg zum Zahnarzt...

Michaela hat gesagt…

Liebe Nora!
Danke das du uns an EURER Geschichte teilhaben läßt!!!! Ich bewundere dich und deine Familie wie ihr den Alltag so scheinbar
mühelos meistert. Das rückt für mich so manche Alltagssituation wieder ins rechte Licht und man bekommt wieder den richtigen Blickwinkel um das Leben zu meistern! Ich wünsche Euch weiterhin viel Kraft und Liebe!
LG Michaela

Melanie hat gesagt…

Im Nachhinein habe ich auch oft das Gefühl, da war jemand, der die Hand über uns gehalten hat und in die richtige Richtung gestupst hat. Ein schönes Gefühl, wie ich finde.

Bei uns war es vier Tage nach Jacobs Geburt. Es war der erste Mai (Feiertag bei uns) und wir haben beschlossen an diesem Tag nach Hause zu gehen. Wir wollten diesen 1. Mai sehr gerne als ganz besonderen Tag in Erinnerung behalten - haben wir auch, aber halt genau anders!
Jacob war ein Leichtgewicht mit 2.700 Gramm und er wollte auch nicht so recht trinken - das Stillen hat ewig gedauert und kaum waren wir fertig, hat er wieder geweint. Im Nachhinein weiß ich, dass er einfach zu schwach war. Jedenfalls war er ziemlich mit Gelbsucht geplagt und die Schwester hat vorgeschlagen ihn nackig unter diese spez. Lampe zu legen und dann weiter zu sehen, ob wir nach Hause können. Das war das größte Glück!! Ich darf gar nicht überlegen was passiert wäre, wenn er keine Gelbsucht gehabt hätte!!

Meine Mama war gerade zu Besuch, ich war aus unerklärlichen Gründen richtig fibrig - da kam die Schwester an: Jacob zieht den Brustkorb ziemlich ein und das möchte sie mit dem Kinderarzt klären. Meine Sorge schoß von 0 auf 100. Am Feiertag war natürlich kein Kinderarzt zu kriegen, es wurde Abend, inzwischen war Paul da und wir haben gewartet und gewartet. Minuten wie Stunden - kennst Du sicher! Endlich kam der Arzt (bei dem wurde ich schon als Kind behandelt und er hat ein unheimlich beruhigende Art!) und hat gesagt, er würde ihn gerne in die Kinderklinik verlegen zur Kontrolle und weiteren Untersuchungen. Baby-Sanka kam, Jacob wurde nackt ins Wärmebettchen gepackt und ab ging es. Dieses Gefühl werde ich nie vergessen! Wir im Auto hinterher. In der Klinik (eine halbe Stunde Fahrt auf der ich die schlimmsten Gedanken hatte) Chaos - im Umbau - endlich haben wir unseren Kleinen gefunden. Diagnose war bakterielle Lungenentzündung - keiner konnte sich erklären, wie es dazu kam. Er lag auf Intensiv, bekam Antibiotika, tausend Geräte und Schläuche hingen an ihm dran - die Geräte und Geräusche brauche ich Dir ja nicht zu beschreiben ... Am Morgen dann die erste erlösende Nachricht dass er stabil ist, aber zu schwach zum Stillen. Zehn Tage waren wir dort. Als wir ihn endlich mit heim nehmen durften, habe ich monatelang aufs genaueste hingehört ob er normal atmet, ob er die Brust einzieht ... Die Angst hat einen fest im Griff! Gerade diese ersten, so wichtigen Tage war er mit Schläuchen ans Bett gefesselt und der Körperkontakt war auf ein paar Stunden begrenzt. Das tut mir bis heute unendlich leid - vor allem weil ich weiß, dass ihn das ganz schön geprägt hat. Er schläft bis heute noch nicht im Dunklen, hatte lange Probleme mit dem Baden (dort musste er jeden 2. Tag gebadet werden und hat es gehasst! Bei mir ging damals die Dammnaht wieder auf und ich musste zu Hause bleiben und konnte ihn nur stundenweise besuchen. Wir standen kurz vom Umzug in unser Haus - es war eine stressige, chaotische Zeit - mit einem zweiten Kind würde ich so einiges anders machen! Leider war/ist uns dies aber nicht vergönnt. Nach meiner Fehlgeburt in der 12. Woche hat es seitdem nicht mehr geklappt - aber das ist eine andere Geschichte. Ist jetzt eh so ein megalanger Text geworden!

Ich hoffe, beim Zahnarzt war es schmerzfrei!

*umärmel*
Melanie

Maria hat gesagt…

Buhhua, da wird mir gleich ganz anders - ich weiß, wie gefährlich Lanitop sein kann. Vor seiner Herz-OP hat Felix das auch bekommen, allerdings nur 1 Tropfen (weil er noch so klein war) und die Ärztin hat mir damals gesagt: "wenn sie sich nicht sicher sind, ob es nur ein Tropfen war oder mehr, dann schütten sie am besten gleich das ganze Flascherl weg..."
Die ersten Male hab ich deshalb mit zittrigen Händen, aber voll konzentriert den einen Tropfen dosiert.

Schön, dass das gut ausgegangen ist bei Euch!
Man sieht im Leben immer wieder, dass man nicht alles ganz allein in der Hand hat... aber diesmal hat das ja sogar geholfen...;-)
Liebe Grüße
Maria

Janine hat gesagt…

Puh ....jetzt muss ich ersteinmal tief durchatmen....was für ien Glück....was für ein Schnutzengel....wahnsinn!
LG JAnine

Yvonne hat gesagt…

Hallo Nora! Das muss ja wirklich heftig gewesen sein. :-(

Dafür sind die Gabriel-Fotos mal wieder einfach zum Knutschen, aber das ist ja nicht neues bei eurem Charmeur *wink*


LG Yvonne

handgemalte Herzensträume hat gesagt…

liebe nora,

es läuft mir gerade ein kalter schauer über die schulter..wie ist das den möglich ? im ersten moment ist man wirklich wütend auf die schwester, oder wer es war, aber dann..man muss wirklich das positive daraus nehmen und das hast du ! ich nehme auch diese warnsignale ganz deutlich wahr, man lernt auf sie zu achten..
liebe nora,
ich drücke euch !
barbora

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